Das Bundesamt für Statistik hat errechnet, dass ich 78 werde. Mein Arzt stimmt dem zu, da ich weder rauche noch trinke und nicht fett, arm oder doof bin. Geringe Risiken, ein paar schlechte übriggebliebene Zellen und gute Möglichkeiten. Nicht doof bin ich allerdings nur unter Vorbehalt, dazu komme ich gleich noch. Mit 53 bleiben mir somit etwa noch 25 Jahre. Muss ich also schon einen Plan haben, wie es nach meiner Reise weitergeht?
Mein Job war einer der schönsten, die ich mir vorstellen kann. Ein Coffeeshop ist ein abwechslungsreiches und atmosphärisches Freizeitprodukt mit schöner Musik, gutem Workout und tollen Menschen. Du klönst den lieben langen Tag, lachst viel und arbeitest an leckeren Getränken und guten Ideen. Als Chef kannst du die seltsamsten Anweisungen erteilen und alle glauben, du wüsstest was du tust. Das ist lustig und macht Spaß. In den letzten Jahren fühlte ich mich jedoch zunehmend unterfordert, bekam altersbedingt immer öfter ein SIE für ein DU, und die ständig steigende staatliche Einflußnahme auf mein Geschäft gefiel mir immer weniger. In der durch meine Krankheit bedingten Auszeit entschied ich dann, dass es für mich an der Zeit für eine Veränderung ist.
Der Entschluss das eigene Leben zu verändern ist für jeden von uns überaus unbequem. Man verlässt mühsam seine derzeitige Komfortzone mit ihren behaglich eingessenen dicken Polstern aus Sicherheit und Routine. Das fällt natürlich leichter, wenn man den Masterplan hat und weiß, was als nächstes kommt. Den haben viele leider nicht, also warten sie auf Eingebung. Sie warten und ändern lieber erstmal gar nichts. Sie machen weiter wie bisher, haben dadurch aber auch weder Zeit noch Kraft, mögliche Perspektiven zu erarbeiten. Eines Tages hören sie auf zu warten und sterben. Das ist für mich schon mal kein sehr guter Plan.
Naturgemäß sind unsere Wünsche und Sehnsüchte zyklisch. Wir begeistern uns für das Neue, das Unbekannte, das Gegenteil dessen was uns jeden Tag umgibt. Wenn wir das Interesse an der Welt außerhalb unseres Mikrokosmos verloren haben, nichts mehr lernen und verändern wollen, hat sich Leben in Ableben verwandelt. Tragisch, wenn Menschen in ihrem Job unzufrieden sind, aber glauben nichts daran ändern zu können. Ein ganzes Leben im Konjunktiv, in dem erst Hypotheken getilgt, Kinder auf eigene Füße gestellt und pflegebedürftige Angehörige gestorben sein müssen, bevor positive Veränderungen überhaupt in Betracht gezogen werden. Doch zack ist die Rente da, nicht selten gepaart mit Altersarmut und körperlichen Gebrechen, und dann ist der Zug abgefahren. Sollte das der Plan sein, ist der auch nicht besonders.
Einer meiner älteren Brüder erklärte mir mal, man müsse scheinbar lediglich nur doof genug sein, um geschäftlich Erfolg zu haben. Bei professioneller gehirngestützter Kalkulation meines Cafés wäre das nämlich (nähmlich) wohl nie eröffnet worden. Doch was Brüder und Bänker als intellektuelle Begrenzung attestieren, bezeichne ich als kindliche Begeisterungsfähigkeit und gesunde Neugier, die mich bis heute gut durchs Leben gebracht haben.
Es gibt so unfassbar viele Möglichkeiten, sich zu beschäftigen, zu lernen und sein Geld zu verdienen. Ich habe noch keinen Plan, was nach meiner Auszeit kommt. Aus dem alten Job bin ich ausgestiegen, das war die eigentliche schwierige Entscheidung. Nun reise ich, um die Welt etwas besser kennenzulernen. Wenn sie mich irgendwann anspringt, die Begeisterung für ein neues Projekt, dann werde ich es wissen. Das mag sich spooky anhören, doch bisher war es immer so. In meinem wunderbaren Lieblingsfilm, Mr. Holland’s Opus, heißt es „Leben ist das, was passiert, während du eifrig dabei bist, andere Pläne zu machen.“
Am Ende möchte ich noch jedem von euch, der sie noch nie gehört hat, die Stanford-Rede von Steve Jobs ans Herz legen, die gut in diese Thematik passt. Mich hat diese Rede inhaltlich immer sehr berrührt, weil Jobs damals bereits wusste, dass er bald sterben würde. Seine Worte bekommen dadurch ein besonderes Gewicht.
Moin Rolf, habe noch nicht alles auf deiner Seite gelesen. Was ich bisher gelesen habe, beeindruckt mich sehr. Lass es Dir weiterhin gut gehen. Jeanette, Anna-Lena und ich bezeichnen uns im Freundeskreis immer als Surfer Typen. Ist nur ein Spaß. Natürlich sind wird alles andere als das. Im November kommt der nächste Nachwuchs und in wenigen Jahren haben wir bereits unsere erste Immobilie abbezahlt. Surfer? Eher Spießer, aber trotzdem glücklich in der aktuellen Lebensphase… Lass mal was von Dir hören! Weiterhin ganz viel Spaß auf Deiner Reise! Viele Grüße Marc
Hallo Marc, viele Grüße zurück und euch alles Gute!!
Hallo Rolf,
bin im T5 Forum auf Dich gestoßen und habe mich gerade durch Deinen Blog gelesen….ich bin baff,Deine Geschichte und Deine getroffene Entscheidung machen mich sprachlos und ich habe beim lesen so oft das Gefühl: stimmt…passt….fühlt sich genau so an.
Auch ich bin nach einem Schicksalsschlag sehr eng mit meinem T4 Bus „zusammengewachsen „und lebe und erlebe auf meinen Touren, manchmal auch nur für ein paar Stunden ans Meer,wieviel mir das gibt und es macht mir tierisch viel Spaß.
Ich möchte meine Bus nicht mehr missen und sehe ihn als treuen Begleiter,der auch bleibt ,wenn es schwierig wird.
Alles Gute
Anja
Liebe Anja,
hab vielen Dank für deinen Kommentar, der mich sehr bewegt hat. Wir sind zwei von Vielen, die einen Schlag in den Magen bekommen und etwas daraus gelernt haben. Nicht jeder hat soviel Glück und nur viel zu wenige die Möglichkeit, ihre Krankheit in der Form zu verarbeiten, wie wir das vielleicht machen.
Ich wünsche dir weiterhin alles Gute, pralle Reifen und vor allem Gesundheit.
ich gebe 5 Sterne für den Beitrag und sage weiter nicht´s ……..(könnte gedanklich aus meiner Feder stammen ) ; werde Dir weiter folgen…… alles Gute ! Norbert
Hallo Rolf, ein schöner Artikel, der mir aus der Seele spricht. Ursprünglich stammt das Zitat aus dem Film übrigens aus dem Song „Beautiful Boy“ von John Lennon (s.u.). Der ist vielleicht eine passende Ergänzung für die Playlist auf der Fahrt. Vielen Dank und beste Grüße, Gunnar.
„Before you cross the street
Take my hand
Life is what happens to you
While you’re busy making other plans“
Danke Gunnar,
ich höre den Song gerade, er ist jetzt in der Playlist.
Liebe Grüße und sonnige Tage!
Hallo Rolf,
vor 3 Monaten hat mich leider auch die Seuche unserer Zeit ereilt. Nun bin ich dabei, mein Leben zu überdenken und stelle fest, dass ich im Konjunktiv lebe und mir denke, dass ich in 3 Jahren – da ist der Junior mit der Schule fertig – alles über Bord werfen und durch die Welt reisen möchte. Wir suchen aktuell schon einen Bulli für Wochenendtripps. Aber wer weiß denn, wie es in 3 Jahren aussieht? Deshalb empfinde ich dich und deinen Blog als Inspiration, mich auf mich selbst und meine Wünsche zu besinnen und nicht mehr unbedingt zu warten.
Viele Grüße Anja
Liebe Anja, aus meiner Erfahrung heraus kann ich dir nur raten, für eine lange Zeit auf Reisen zu gehen. Es mag kein dauerhaftes Lebensmodel sein, aber es bringt eine völlig neue Erfahrung mit sich, die einen das Leben in seiner Alltäglichkeit in einer gesünderen Relation wahrnehmen lässt. Ich wünsche dir viel Kraft, Genesung und vor allem die Fähigkeit dankbar zu sein.
Sehr klasse Text und tolle Gedanken! Danke dafür. Liegt alles auf meiner Linie, aber…
… ich muss das ändern 😉
Alter Defender, oder Bulli… flexibel muss es sein. Zur Not auch mal ein Hotel oder B&B
Die 78 ist noch weit, und wer weiß, vielleicht war es ja auch ein Zahlendreher… und: ja, die Steve Jobs Rede hatte mich damals auch sofort begeistert und tut es noch heute!
Weiterhin tolle Reisen und Zufriedenheit!