Im Süden Portugals bin ich in einer felsenumrandeten Bucht, gehe barfuß im Sand dieser paradiesischen Idylle und blicke in kristallklares Wasser. Das Licht an der Algarve ist gelblicher und wärmer, als hätte irgendeiner an der Sonne herumgedreht und sie besser eingestellt. Hätte man mich mit verbundenen Augen eingeflogen und mir erst hier die Maske abgenommen, hätte ich sicher geblinzelt, gelächelt und „Florida“ gesagt. Verblüffend ähnlich hier, es weckt alte Erinnerungen. Mein erster Joint auf dem Overseas Highway durch die Florida Keys, völlig stoned auf einer Künstler-Party in Naples. Die meisten von uns haben solche Erlebnisse mitgenommen und sich früh richtig ausgetobt. Danach ging es zurück nach hause und man fing langsam an, erwachsen zu werden.
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In Lagos übernachte ich neben zwei alten Opel Blitz. Bei einem ist ein Reifen platt, beim anderen wurde das Fenster der Fahrertür durch eine Folie ersetzt, und es gab wohl ein Problem mit dem Außenspiegel, an dessen Stelle nun ein Kleiderbügel hängt. Die Bewohner, drei Männer, eine Art Frau und jede Menge Rottweiler, sitzen zwischen ihren Wagen um einen leeren Grill herum, lassen Flaschen und anderes herumgehen und sind unfreundlich zueinander. Hinter einem der billigen Klappstühle liegt der zertrümmerte Korpus einer Gitarre, Zeuge einer geplatzten Illusion oder der Erkenntnis des eigenen Versagens. Die ganze Szene beschämt und erschüttert mich gleichermaßen. Ich frage mich, was Menschen in ein solches Elend führen, wie man sich so tief am Boden einrichten kann.
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Als junge Leute kamen sie vielleicht in einem Urlaub hierher, saßen am Lagerfeuer verliebt unten am Strand, wo sie versunken einer Gitarre lauschten, in den Sternenhimmel sahen und davon träumten, frei zu sein. Als sich die Möglichkeit bot, hier in einem angesagten Club einen Job hinter der Theke zu kriegen, nahmen sie an und blieben hängen. Durch die Nachtarbeit kamen sie bald in einen Zustand körperlicher Erschöpfung und hatten dann die ausgesprochen schlechte Idee, diesem mit Alkohol und Drogen entgegenzuwirken. Schnell wurden die Folgen von Konsum und Lebenswandel unübersehbar, Angebote aus der Gastronomie verebbten und etwaige Ersparnisse und hilfsbereite Freunde schmolzen dahin. Zeitnah folgte der Verlust der Wohnung, der Zusammenbruch des Autos und das Einschränken der Körperhygiene. Wenige Jahre später sitzen sie zwischen verrottenden Schlafwagen vor einem leeren Grill und zanken sich um abgestandenes Bier oder weil einer von ihnen keine Rottweiler-Steaks essen will.
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Auf einem ruhigen Platz zwischen Aljezur und Odeceixe lerne ich zwei Deutsche kennen, die sich in ihrem einjährigen Ausstieg auf Zeit zum Glück besser aufgestellt und für eine konstruktivere Lebensweise entschieden haben. Achim ist Pianist, Claudia doziert im sozialen Bereich, erzählen sie in ihrem heimeligen Wohnwagen. Als die Kinder erwachsen genug waren, beschlossen sie, einfach mal ein anderes Leben zu führen und organisierten ihr Sabbatical. Achim lernt eine melancholisch klingende Concertina zu spielen und möchte Straßenmusik mit Theater kombinieren, Claudia schreibt freiberuflich Referate und würde am liebsten für immer digital nomadisch bleiben. Das Leben der beiden nimmt mich mit auf ein buntes Abenteuer durch die Geschichte ihrer und meiner bewegungsreichen Jugend. Berliner Mauer, Hausbesetzungen, Kommunen, Regenbogenhaus, Anti-Atomkraft, Gorleben. Als ich in dieser Nacht im Zeltdach meines Bullis liegend das Licht ausknipse, habe ich Concertina-Musik und die inspirierende Seite vom Aussteigerleben kennengelernt.
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Wer an der Algarve lebt, kümmert sich vornehmlich um seine eigenen Sachen, das habe ich schnell begriffen. Man trifft hier viele interessante Abenteurer wie Achim und Claudia, aber auch gestrandete Aussteiger, die uns irgendwie traurig und wütend zugleich machen. Sie gehören wie zerdrückte Cola-Dosen zum Straßenbild, ihr Scheitern wird jedoch weder abschätzig verurteilt noch besserwisserisch belächelt. Meine Sichtweise auf diese Menschen, deren Weg in das Elend mit vielleicht nur einer einzigen falschen Entscheidung begann und mit unzähligen unglücklichen Verkettungen weiterging, ändert sich gerade etwas. Ich gehe in letzter Zeit nicht mehr immer gleich auf die andere Straßenseite, bei rauchenden Gitarristen nicke ich anerkennend, besonders wenn sie echt übel spielen. Vielleicht sind das meine stieseligen Versuche, nicht mitleidig oder herablassend auf sie herunterzusehen, meine Geste des Respekts. Ob gestrandete Austeiger sich damit besser fühlen, ist sehr fraglich, aber ich tue es.
Aussteigen- ja das muss man sich erstmal trauen. Den ersten Schritt zu wagen, loszugehen. Daran scheitern die meisten und darum bin ich auch der Meinung, dass es kein in unseren Augen Gescheiterter verdient hat, belächelt, verurteilt oder geringschätzig behandelt zu werden
Hey- die Beschreibung der Rottweiler-Gang hat mich sehr amüsiert. 😉 Liebe Grüße und gute Reise!
Liebe Doro, ich hatte immer schon ein Herz für jede Art Menschen, die etwas wagen und ihren eigenen Weg gehen. Wer je etwas im Leben gemacht hat, was dem allgemeinen Denken oder den normalen Wegen widerspricht, dazu zähle ich mich, der wird nie jemanden belächeln, der gescheitert ist.