Traumurlaub

Anspruch und Gegebenheit

Der Salgueiros ist der nächstgelegene Campingplatz an Porto, fast direkt am Meer. Er liegt umgeben von tristen Wohnblocks neben einem Schotterplatz, auf dem viele Anwohner, vermutlich die aus den Wohnblocks, ihre alten Polstermöbel und zerbrochenen Kloschüsseln entsorgen und bei der Gelegenheit gerne auch noch Ölwechsel machen. Der mir zugewiesene Stellplatz ist so bescheuert schräg, dass ich fast im Stehen schlafe, als ich mich ins Bett gelegt habe. Ich stehe zwischen zwei verrotteten Wohnwagen oder Verschlägen, irgendsowas von Dauercampern.

 

Am nächsten Morgen im Waschhaus sehe ich, dass irgendein Spaßvogel alle Toilettendeckel abmontiert hat. In keiner der sechs Kabinen ist Toilettenpapier, nur zwei verknitterte Servietten liegen auf dem Boden. Dort, wo man unter normalen Umständen eine Rolle Papier vermuten würde, klebt ein mehrsprachiger Ausdruck, in dem darum gebeten wird, das Toilettenpapier nicht herunterzuspülen. Ein offener Mülleimer neben der kahlen Toilette ist übervoll mit dem gebrauchtem Papier der Gäste, die sich an diese Bitte gehalten haben. Diese Räume hier sind nicht unbedingt das Steckenpferd der Putzfrau, da bin ich mir sicher.

 

Früher war mein Urlaub eine Wiedergutmachung für den alltäglichen Wahnsinn im Job, aber aufgrund der Zeitbegrenzung genauso eng getaktet und durchorganisiert wie mein Coffeeshop. Nach dieser anstrengenden Art der Erholung war ich dann immer gleich wieder urlaubsreif. Um das Risiko schlechter Erfahrungen im Urlaub zu minimieren, gab ich entweder gleich sicherheitshalber ein Vermögen für die teuerste und über alle Zweifel erhabene Location aus oder betrieb wochenlang virtuellen Investigativ-Tourismus. Alles sollte vollkommen und perfekt sein.

 

In den letzten Jahren bekam das ohnehin schon hohe Anspruchsdenken noch weiteren Aufwind, da mittlerweile jeder Stiesel mit Vollbart und Tattoo supercoole Urlaubsfotos ins Netz haut, auf denen er aktiv, kerngesund und abenteuerlich wirkt. Dadurch kommt man sich schon langweilig, unsportlich und unsexy vor, bevor man überhaupt irgendwohin losgefahren ist. Wahrscheinlich führen wir Deutschen gar nicht zufällig die High Scores für Burnout-Diagnosen und Urlaubs-Reklamationen gleichermaßen an, denn unsere Erwartungshaltung an einen gelungenen Urlaub ist oft so übertrieben hoch, dass eine Enttäuschung unvermeidlich, ja beinahe schon gewollt ist. Wann gibt es die meisten Trennungen? Klar, direkt nach Rückkehr aus dem Urlaub.

 

Heute hier an diesem worst case einer Toilette merke ich, dass sich etwas verändert hat. Ich habe mich verändert. Der zeitliche Faktor hat sich verändert. Statt Urlaub zu machen bin ich auf einer Reise, Ansprüche sind der Dankbarkeit gewichen und Umstände, die mich früher geärgert hätten, verstehe ich heute oft als Nachweis des knallbunten Lebens. Nach über fünfzig Jahren kann ich die Dinge nun endlich mit Humor nehmen, was mir früher unter angespanntem Zeitdruck fast nie gelang. Ich kann notieren, dass sich die Fremde plötzlich besser anfühlt, aufgrund ihrer lebensnahen Normalität sogar viel angenehmer als die künstlichen perfekten Urlaubswelten, die man uns auf allen Kanälen eintrichtert.

 

Ich werde diese üble Toilette nicht wiedersehen, aber noch lange über die Gesichter derer lachen, die ich beim Herauskommen beobachten konnte. Gleich steige ich in meinen Bulli und fahre nach Porto, bereichert um eine hygienische Grenzerfahrung. Als Kind schickte man mich in den Sommerferien immer in ein Zeltlager auf Spiekeroog, im Rückblick heute die schönste Zeit meiner Kindheit. An das Mantra meines Zeltführers erinnere ich mich gut. Urlaub ist nicht nichts tun, sondern das tun, was man sonst nicht tut. Wie recht er hatte.

 

 

Ausdruck Toilette

 

7 Gedanken zu „Anspruch und Gegebenheit

    1. Tja, Gela, das ist wohl so. Im Allgemeinen. Über vergängliche Kleinigkeiten kann ich mich nicht mehr aufregen, aber bei rücksichtslosen Mitmenschen fehlt mir noch immer jede Gelassenheit. Ich hatte gerade so einen dumpfen Drängler vor mir, da musste ich im Bulli sitzend laut schreien. Am Ende koche ich also auch nur mit Wasser.

  1. Hallo Rolf,
    bin durch das Tx Board auf dich gestoßen. Mit meinem mittlerweile 4 Cali in den letzten 20 Jahren werde ich mich im Frühling auf die Suche nach dem Ich begeben. 65,5 Lebensjahre haben mich an den Rade meiner verpflichteten Lebensarbeitszeit gebracht. Ich glaube damit meine Pflicht zum Bruttosozialprodukt dieser Republik beigetragen zu haben.
    Jahre in denen ich viel in def Welt herumgekommen bin, sei es privat aber in den 80ern auch geschäftlich in Syrien, Irak, Jordanien und dem kurdischen Teil der Türkei. Ich fühle mit dem Schicksal der Menschen dort.
    Nun werde ich im Frühling aufbrechen um im Retro Bulli T5 Cali Europa und auch mich zu finden. Bis zum errechneten Durchschnittslebensalter von 78 bleiben mir noch etliche Monate so es die Vorsehung will.
    Wünsche Dir angenehme Erlebnisse und das erforderliche Quentchen Gesundheit um die verbleibende Lebenszeit lebenswert zu erleben.
    Dank dir für deine niedergeschriebenen Gedanken zum Leben.
    Servus Konrad.

      1. Lieber Konrad,
        ich freue mich für dich, das wird sicher eine schöne Tour mit deinem T5. Bleib gesund und fahr vorsichtig,
        Rolf

Schreibe einen Kommentar