Vor ein paar Tagen fragte mich eine Freundin, wie sich meine Reise alleine nun eigentlich so anfühlt, ob es immer noch wie Urlaub ist oder irgendwann normal wird.
Schwierig zu sagen. Es gibt so viele unfassbare Eindrücke jeden Tag, neue Erfahrungen und manchmal ganz besondere Momente in der Natur, die ich schlicht als „brutale Schönheit“ bezeichne. Wer jemals im Morgengrauen die Strecke vom Loch Lomond zur Isle of Skye gefahren ist, wird vor Augen haben, was ich meine. Ich stehe lächelnd in Kyle of Lochalsh und kann nicht fassen, wie wahnsinnig es ist, jetzt hier mitten drin in diesem fast surrealen Bild zu stehen, das aussieht als hätte ein riesiges Kind eine moosgrüne Decke über die Alpen getufft.
Meine Tour ist wunderschön, doch fühlt sich nicht nach Urlaub an. Das hat es nie, nicht mal am ersten Tag. Wenn ich ehrlich bin, fühlt es sich eher wie eine Challenge an. Eine, die ich für mich selbst zu bestehen habe. Oder eine Art Märtyrium, dem ich vielleicht ohne es zu ahnen längst ein Gesicht gebe, seit ich das Rasieren eingestellt habe. Es ist alles nicht entspannend, sogar sehr anstrengend, und doch hat es etwas. Meine Entscheidung war richtig und wichtig für mich, das weiß ich.
Früher hatte Alleinreisen immer einen seltsamen Beigeschmack. Wer alleine reist, mit dem stimmt etwas nicht. Das ist heute in der allgemeinen Wahrnehmung nicht mehr der Fall. Alleinreisen ist längst das Pseudonym für Individualität und Coolness geworden, ein Statussymbol der Selfie-Generation. Eine bewusste Entscheidung, keine letzte Lösung für tragische Singles und schrullige Einzelgänger. Und man sollte auch niemals pauschalisieren, es gibt verschiedene Lager. Ich unterteile immer nach Jüngeren, Extremen und Echten.
Jüngere reisen längst nicht so allein, wie sie gerne vorgeben. Meist führt der Weg direkt ins nächste Hostel, wo eine riesige Auswahl an Gleichgesinnten wartet, mit denen man dann etwas Zeit oder den Rest der Reise verbringt. Ich denke, das ist lustig und macht Spaß, und dann ist es auch gut so.
Extreme sind Sportler, die für ihren Sport alles stehen und liegen lassen. In Schottland reisen viele Radfahrer alleine, immer in ekeligen engen Hosen und mit kompliziertem Gebamsel am Körper. Schläuche und Beutel zum Trinken oder Pinkeln oder Doping oder was die so brauchen. Nach meinen Erfahrungen sind sie auf der Straße schlecht gelaunt und nach dem Absteigen richtig schlecht gelaunt. Irgendwas war immer nicht gut, irgendwer hat sie immer fast überfahren.
Am Meer sind vermehrt alleinreisende Surfer, richtig cool und richtig hübsch, anzutreffen. Besonders in Cornwall habe ich Unmengen von ihnen gesehen, ein paar auch gesprochen. Die sind immer sehr nett, aufgeschlossen und scheinen sehr glücklich zu sein mit dem Surfen, den Wellen und überhaupt. Ich dachte nach den Gesprächen jedesmal, ich sollte später auch mal Surfer werden.
Echte sind Wanderer, die man hier überall vor ihren Mini-Zelten und süßen klitzekleinen Nano-Gasbrennern hocken sieht. Die gehen mit Sonnenuntergang alleine schlafen und brechen morgens bei Sonnenaufgang alleine auf. Trekking allein der Natur wegen. Sie wirken auf mich bescheiden, in sich gekehrt und zufrieden. Zu den Echten zähle ich auch körperlich angezählte und zottelbärtige Bulli-Fahrer, die einfach nur mal viel Zeit zum Nachdenken brauchten. Die sind nett und hilfsbereit, lesen oft und denken zu viel.
Allein unterwegs sein hat Vorteile, ohne Frage. Man kann kompromisslos dem eigenen Rhythmus folgen, Interessen nachgehen und hat, in Kopf und Bulli, mehr Raum, Ruhe und weniger Unordnung. Sich an unbekannten Orten in fremder Sprache zu bewegen, erfordert Überwindung eigener Ängste und Unzulänglichkeiten. Man wird etwas mehr der Abenteurer und Weltbürger, das fühlt sich gut an. Zwangsläufig ist höhere Konzentration als in Begleitung angesagt. Das Beobachten, Einschätzen und möglichst optimal Entscheiden in einem Augenblick ist überlebenswichtig und trainiert den Geist. Es ist wie ein scharfes Bild, das vorher immer etwas verwackelt war.
Nachteil des Alleinreisens ist, dass man alleine reist. Schöne Erlebnisse nicht teilen zu können, lässt sie mir ein wenig unvollkommener erscheinen. Ich habe ständig das Gefühl, das wichtigste fehlt, das habe ich zuhause gelassen. In Augenblicken „brutaler Schönheit“ empfinde ich mich daher immer wie ein Scout. Jemand, der erstmal nur alleine vorfährt und auskundschaftet. Für die nächste, richtige Tour zu zweit. Besonders abends, wenn ich nebenan die Familien und Paare sehe, wie sie zusammen kochen und lachen, will es mir nicht unbedingt gefallen, alleine ohne Partner unterwegs zu sein.
Hallo Rolf,
auch diesem Text möchte ich 100% beipflichten.
Als ich am ersten Tag in Portugal das Handy am Strand verlor und nicht mehr wieder bekam… zurück nach Hause! war mein erster Gedanke.
Dann Versuche starten, die Sperrung zu aktivieren, andere Reisende befragen, die Polizei, das Tourist-Office… Es war weg, ein billiges Tastenhandy mit Prepaidkarte eine kleine Sicherheit für einen Not-Anruf war schnell besorgt und – unverhofft – die Freiheit, keine posts und Fotos mehr an Daheimgebliebene schicken zu wollen, eine erfreuliche Erfahrung. Eine Erfahrung, die ich nicht missen möchte. Auf eine derartige Situation werde ich mich bei der nächsten Solo-Reise trotzdem mit einem 2t-Handy vorbereiten.
Dazu: Als Frau alleine unterwegs, noch dazu einiges über 60… die Vorurteile, die Du oben beschrieben hast, gilt es mit offenem Zugehen auf andere zu widerlegen…
Beste Grüße
Sybille
Liebe Sybille, das Zweithandy habe ich mir direkt auf meine Liste geschrieben, das muss ich auch besorgen. Danke für den Kommentar und viele Grüße!
Die Gedanken des letzten Absatzes habe ich genau so auch gefühlt, als ich letztes Jahr alleine mit dem Motorrad durch Frankreich, Italien und Korsika gefahren bin. Wahrscheinlich fahre ich die Strecke in den nächsten Jahren auch noch einmal mit dem Camper und zusammen mit meiner Frau! 🙂