Wege in den Süden

Auf dem Weg in den sonnigen Süden war mein erster Stop Thüringen, also das Gegenteil davon. Katja vom YouTube-Channel „Peace Love and Om“ hatte mich zu einem Interview eingeladen. Anschließend entdeckte ich einen nahen Campingplatz und fand den für mich gemachten Stellplatz unter einem riesigen wunderschönen Kastanienbaum. Dummerweise gab es nachts Sturm, hunderte dicke doofe Kastanien knallten auf das Dach, und ich konnte natürlich kein Auge zukriegen. Morgens sprach mich die ältere Frau aus dem Wohnwagen gegenüber an, das wäre aber laut gewesen letzte Nacht, wie eine große Trommel, ich hätte sicher nicht gut geschlafen und es sei vielleicht gar keine gute Idee gewesen, mich unter die Kastanie zu stellen.

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Dennoch empfehle ich den Platz mit Überzeugung weiter, denn dank seines alten Baumbestands ist er atmosphärisch und verbreitet irgendwie noch etwas dieser undurchsichtigen DDR-Aura. Einzigartig ist auch, dass inmitten der Zelte und Wohnwagen eine Flohmarkt-Datsche steht, vor dessen Tür ein alter Mann unter bunten Lampignons wartet. Auf dem Weg zum Waschhaus sah ich äußerst individuelle Auslegungen von Frisuren und viele Vintage-Bademäntel, die unglaublich echt wirkten. Cool. Also merken und hinfahren: Campingplatz am Stausee in Hohenfelden.

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Mein ursprünglicher Plan für Frankreich hieß Bleifuß, doch nach dem Kastanien-Debakel entschied ich mich sicherheitshalber für behutsame Fahrt und Schlaf, also blieb ich in der Auvergne, im Dörfchen Diou. Der kleine Campingplatz dort war nach Saisonende geschlossen, aber zwei steinalte Franzosen unterbrachen ihr Boule-Spiel und zeigten mir in der Nähe einen kleinen öffentlichen Platz, sogar mit Toiletten-Häuschen, wo ich die Nacht sehr angenehm stehen könnte. Dann wünschten sie mir eine schöne Zeit, vive la France, ich solle immer vorsichtig fahren und gingen wieder Boule spielen. Die Welt ist wahrhaft ein wunderbarer Ort, wenn man solchen Menschen begegnet.

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Nach dieser guten Erfahrung beschloss ich, noch ein wenig Zeit in Frankreich dranzuhängen. Ich sah mir den Weinbau bei Bordeaux an, zwei antike Chateaus und fuhr durch endlose Wälder in Aquitanien in die Kleinstadt Brocas, wo alles geschlossen und kein Mensch zu sehen war, wie nach einem Atomkrieg. Auch der Campingplatz am Stadtrand war wie ausgestorben, ich hatte ihn ganz für mich allein. Warmwasser, Dusche und Stromanschlüsse funktionierten und alles sah aus, als wären gerade eben alle weg. Ich war Will Smith in „I am Legend“. Also tat ich, was der in dieser Situation getan hätte. Ich setzte mich auf den Tisch mitten auf den Platz, setze die Hornhautfeile ein und brachte meine Füße mal wieder in Schuss.

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Heute habe ich Spanien erreicht und stehe jetzt in Haro, nachdem ich ein kurzen Abstecher in die westlichen Pyrenäen machen musste, weil das Navi mich dort in ein Bergdorf fehlgeleitet hatte. Da stand ich am Ende festgefahren zwischen zwei Hecken auf dem privaten Hof eines älteren Ehepaares beim Kartoffelschälen und sollte rechts abbiegen, was natürlich schon längst nicht mehr ging. Ich habe inzwischen alle bekannten und international akzeptierten Gesten für völliges Unverständnis und unterwürfige Entschuldigung drauf, und mit rotem Kopf wirken sie wohl noch ehrlicher, auf jeden Fall sahen die guten Leute sehr besorgt aus, als sie mir nachwinkten.

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Viele alte Menschen haben eine ganz besondere Sicht auf die Dinge, sie sind so viel gelassener und meinen es im Zweifelsfall immer eher gut mit den Jüngeren. Das habe ich in dieser Woche erlebt, und es lässt mich Altwerden fast als etwas Schönes betrachten.

Frankreich

4 Gedanken zu „Wege in den Süden

  1. Kaum etwas lese ich so gerne wie deine Posts! Du solltest aus all dem ein Buch machen, denn es gibt tatsächlich kaum Menschen, die Emotionen und Erlebtes so unfassbar schön in Worte fassen können…ich bin die erste die eins haben möchte! Viel Freude weiterhin auf all deinen erlebnissreisen! Elisa

    1. Liebe Elisa,

      das zu lesen freut mich und gibt mir viel Ansporn. Vielen Dank!!!

      Inzwischen habe ich wirklich den Traum, eines Tages ein Buch herauszugeben und irgendwie von der Schreiberei leben zu können. Da ich ja gerade erst damit angefangen bin, sehe ich das aber wohl erst in vier oder fünf Jahren.

      Liebe Grüße aus der sommerlichen Region La Rioja, wo immer das auch genau ist!

  2. Lieber Rolf,
    wie sehr ich es Genieße deine Texte zu Lesen, Kürzlich habe ich mit meiner Frau eine Kurz Reiße gemacht, an Vergangene Orte, habe darüber ein Tourtagebuch Geschrieben, das Demnächst in einer kleinen Zeitung Gedruckt wird ( gerne Schicke ich dir den Link via. Facebook ). Deine Nicht Geschriebenen Worte Zwischen den Zeilen kann ich gut Nachvollziehen, meine Frau hatte auch Krebs. Eine Sehr Enge Freundin, „UNSERE BIENENKÖNIGIN“ ( Sie brachte uns das Mit dem Leben mit Hühnern bei, und macht Honig von Ihren Eigenen Bienen ) Muss man aufs erste Lesen nicht Verstehen. Aber um auf „SIE“ zurück zu kommen Sie Wird es nicht Überstehen. Aber Wir Wissen was auf uns alle zukommt. Liebe Grüße George 😉

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