Surfer

Surfer und ich und Brian Wilson

Der Strand in Sagres ist voller junger Frauen, die jeweils neben einem blonden Surfer sitzen, der in salzgebleichtem Blond und Outfit einem Surfer-Magazin entsprungen scheint. Sie alle gucken in gigantische Wellen. Ihre Bretter stehen hinten im Sand, ihre T2-Bullis sind in Sichtweite dahinter geparkt. Im Meer ist niemand zu sehen. Die Jungs hier sind bemüht wie die Vorstellung cooler Surfer auszusehen, dabei wäre es ja eigentlich besser, einfach wie sie selbst auszusehen und endlich surfen zu gehen. Im Café oben an der Straße spricht mich ein alter Mann an, dass ich nach Nazaré muss, wenn ich wirklich gute Wellen suche. Er scheint mich für einen älteren Surfer zu halten, instinktiv ziehe ich meinen Bauch etwas ein. Tief in mir drin wollte ich immer ein Surfer sein, ich hatte es nur vergessen.

 

Es gibt Sportarten, bei denen es in erster Linie eigentlich gar nicht um den Sport sondern um das Statement dessen geht. Schach zum Beispiel steht für wenig Muskeln und viel Gehirn, und Boxen für das Gegenteil, also viel Muskeln und eher nicht so viel Gehirn. Doch wenn Schachspieler und Boxer noch besprechen, wer von beiden schlauer ist und wer gleich wem die Fresse platthaut, sind deren Frauen längst mit dem Surfer durchgebrannt, weil der das längste Brett hat. Surfen steht für all das, was man sich so erträumt. Da ist von Blumenschmuck auf Hawaii über Freiheit bis blonde Schönheit und feuchte Abenteuer so ziemlich für jeden etwas dabei. Mehr positive Behaftung und imageträchtige Symbolkraft ist unmöglich, also liebt man Surfer schon als Kind und kurze Zeit später mit 53 immer noch.

 

Zwei Wochen nach Sagres im Süden erreiche ich Nazaré im Norden, wo der Atlantik sich in einer derart bombastischen Weise darstellt, dass ich mir wie eingeschrumpft vorkomme, als ich ihn oben vom Kliff aus betrachte. Neben mir sind drei junge Franzosen, die auch gerade angekommen sind. Sie sehen nicht wie coole Surfer in der Umsetzung der Sagres-Jungs aus, aber ich höre etwas von Wellenperioden, Right-Hander oder Split-Peak. Surfer interessieren sich also doch für Wellen und nicht nur für bunte Shirts und bemalte T2-Bullis.

 

Auf einem Parkplatz hinter uns zieht sich ein etwa 50-jähriger in großer Theatralik seinen Wetsuit an, klemmt sich sein Surfbrett untern Arm und trabt damit beeindruckend in einer Art slow Motion die Klippen vor uns entlang, bleibt an der Kante rechts stehen, trabt zurück zu seinem Auto, steigt ein und brettert davon. An dieser Stelle gibt es keinen Abgang zum Strand, doch die drei Franzosen verlieren kein Wort über den rüstigen Kollegen. Die meisten Surfer in meinem Alter sind sicher längst ertrunken oder Richard Branson geworden, den Rest nimmt man gelassen hin.

 

In den letzten Jahren habe ich oft damit gehadert, älter zu werden. Fünfzig zu werden hieß für mich die Seite zu wechseln und mir drüben im Gemenge zwischen Falten, bequemen Schuhen und Lesebrillen einen Platz zu suchen. Das Schlimmste am Älterwerden aber ist die Erkenntnis verlorengegangener Optionen und verpasster Möglichkeiten. Hier ein paar Meter neben diesen drei Jungs fühle ich mich um all die Begeisterung betrogen, die in meinem Leben der Vernunft zum Opfer fiel. Ich beneide sie um diese intensive Erfahrung, morgen mit ihrem Brett auf einer dieser gigantischen Wellen zu reiten und sich den Urgewalten der Natur stellen zu können. Ein kurzer Moment ganz weit oben über der Welt, ein Moment im Licht für dich ganz allein. Im nächsten Leben würde ich gar nicht so viel anders machen, aber auf jeden Fall würde ich versuchen, sehr viel unvernünftiger zu sein.

 

 

She’s giving me excitations,
I‘m pickin up good vibrations,
Oom bop bop good vibrations.
(Brian Wilson)

 

Ich bin 53 und mentaler Surfer.
(Rolf Grotegut)

 

Surfer vor einer Klippe

 

Mein Bulli-Tipp der Woche: Bellman Espressomaschine mit Milchschäumer.

 

20 Gedanken zu „Surfer und ich und Brian Wilson

    1. Hey, der ältere Herr in Sagres, war das vielleicht Torben der surfende Däne, den du da getroffen hast? Am Plätzchen oben bei Annabelle im Marreiros? Torben hat mit 59 das surfen begonnen, also nur Mut! Ansonsten kann ich dir recht geben . Ich bin jedes Jahr in Sagres und die Poser werden jährlich mehr . gute Reise weiterhin!

  1. „Das Schlimmste am Älterwerden aber ist die Erkenntnis verlorengegangener Optionen und verpasster Möglichkeiten.“

    Dieser Satz wird mich heute noch eine Weile begleiten…

      1. Und wenn damit Gelassenheit und etwas Gleichmut Einzug hält, ist es sogar wunderbar ⭐️

    1. ✌darf ich den Satz klauen? „Das schlimmste am Älterwerden…“ so als Zitat von dir, mit deinem Namen drunter ?

  2. …wie immer eine schöne Einstimmung auf den Tag, danke. Es gibt auch kleinere Wellen an den man sich probieren kann…

  3. Erstmalig seit Beginn Deiner Texte habe ich andere Erfahrungen gemacht. So beschrieben ist es mir zu sehr verkürzt.
    Die Kerle sind tatsächlich sehr austrainiert – so sie „gute“ Surfer sind. Sixpacks sind ein Muss. Wellenreiten sieht leicht aus, ist in der Realität ein sehr anspruchsvoller Sport, der viel Training und gute Kenntnisse der Bedingungen benötigt.
    Blonde in Portugal, in Sagres? Eher weniger. Die Portugiesen als Locals sind eher der südländische Typ oder?!
    Wenn es fanatische Surfer sind, interessieren sie die weiblichen Groopies weniger. Ich konnte es beim Surf-World-Cup beobachten: Die Jungs ins Wasser, die Mädels schliefen im Schatten eines Felsen unten am Strand.
    Die „Unterkunft/Fortbewegungsmittel“ auf den T2-Bulli zu reduzieren sehe ich auch als Verherrlichung. Die Vielfalt ist riesig, vom VW-Transporter mit Matratze auf dem Boden bis zum umgebauten LKW mit hydraulisch herabzulassender Ladeplattform, die dann Terrasse ist, kommt alles vor. Hauptsache, das Brett passt rein!
    Lassen Vorhersage der Wellen und Gezeiten eine gute Session in den frühen Morgenstunden erwarten (d.h. auch mal im Morgengrauen um 7 Uhr Ortszeit auf dem Brett stehen), sind die Jungs im Wasser.
    Und in den Wellen am Atlantik (bis auf die in Nazaré) gilt: Je kürzer das Brett, desto wendiger, spektakulärer die Manöver.
    Um kein falsches Bild zu verbreiten: Die wenigsten Surfstrände erlauben ein Stehen der Autos am Strand. An vielen bekannt guten Spots wurde – erfreulich – eine mehr oder minder ausreichende Infrastruktur mit einem Parkplatz und/oder WC, Müllkontainern, Duschen eingerichtet.

    Nun zum Alter. Ich bin 64 Jahre alt und habe das Wellenreiten diesen Sommer in der Bretagne erstmalig mit eigenen Augen gesehen. Ich war fasziniert. Inspiriert.
    Nach stunden- tagelangem Zuschauen war mir klar: die Beweglichkeit, die man für’s Wellensurfen braucht, habe ich nicht und werde sie – wenn überhaupt, so schnell nicht erreichen. Es gibt eine Alternative, das Bodyboarden. Ein kleines Brett, auf dem man auf dem Bauch liegend eine Welle surfen kann. Eine Stufe einfacher: auf dem Schaum der Welle, die sich schon überschlagen hat, zum Strand tragen lassen. Ich habe mir eine Ausrüstung gemietet, war begeistert und seitdem fährt bei mir ein Bodyboard quer im T6-Bus samt Neopren und Flossen mit.
    Und das Gefühl, morgens um 7 Uhr bei aufgehender Sonne und mit nur einem weiteren Surfer gute Wellen auf dem Board zu „reiten“, das ist grandios.
    Anschließend mit einem Kaffee am Rand der Bucht den „Spätaufstehern“ zuschauen…

    Den Mut, die Kraft haben, Grenzen auszuloten…das ist doch auch Deine Idee?!
    Auf zu neuen Ufern
    Sybille

    1. In Sagres sah ich wirklich diese Klischees bedient, ich war allerdings nur wenige Stunden dort, es stellt sich sicherlich selten derart inszeniert dar. Mehr als Momentaufnahmen kann ich auf einer Reise von einem Ort zum nächsten nicht schildern, und das würde den Rahmen hier sprengen. Danke für deinen Erfahrungsbericht.

      Liebe Grüße und gute Wellen!

      1. Meine Reise war Mitte Oktober bis Mitte November. Ab Nazaré nach Süden Sagres und über Lagos, den Westen Portugals und Lissabon, Galizien wieder nach Hause.
        Faszinierend, wie unterschiedlich die Orte und damit Erlebnisse je nach Wochentag, Wetter und natürlich Mitmenschen erlebt werden. Manchmal ist es nur die Tageszeit, die einen riesgien Unterschied macht!

    2. Hi Sybille,
      bist du Binou, die mit dem rot-weißen Cali, mit der ich einige Tage im Tannheimer Tal verbracht hatte sowie neben Tom am La Rocca ?
      Konrad

      1. OT: Hallo Konrad,
        wir sprachen schon über Dich mit Tom beim Hardcoretreffen Anfang des Jahres!
        LG Binou, die seit Portugal in dem mit den verkratzten roten Ohren unterwegs ist 😉

  4. Oh man, mir gehen schon mit 43 Jahren seit einiger Zeit verpasste Chancen durch den Kopf. Aber rückblickend? Was bereue ich wirklich? Vielleicht zwei oder drei Momente bisher, aber die gehören wohl auch zu mir. Ich hab mich bisher nicht als mentalen Surfer gesehen (geboxt habe ich durchaus), denke aber, ich könnte mich dort einreihen. Manche Menschen packen einfach mehr Inhalt in ihre Leben. Ich freue mich aufrichtig für jene. Ich danke Dir und Brian für Eure Worte. Sie bereichern mein Leben.
    Gute Fahrt und bis bald….

  5. Sehr schön geschrieben! Ich werde bei deinen Zeilen nachdenklich. Feiere im Dezember meinen 53. Geburtstag. Habe mit 17 angefangen meine Freizeit als Windsurfer im Bulli an Deutschen Küsten zu verbringen, dieser „Surferlebensstil“ hat mich bis heute geprägt. Bin vor knapp 10 Jahren aufs Kiten umgestiegen und suche damals wie heute Wellen wenn ich auf dem Wasser bin. Allerdings bin ich weit nicht so oft am/auf dem Wasser wie ich mir das erträume, das Leben fordert halt ein setzen von Prioritäten.

    Mit über 50 ist noch viel möglich! Schaue dir die Urgesteine wie Robby Naish an. Hatte ich einen guten Tag mit Wellen und Sonne setze ich mich kaputt neben mein Brett an den Strand und schaue auf die Brandung. Dann spüre ich diese Verbindung zur Natur, dieses Glücksgefühl,…manchmal auch in Verbindung mit leichter Traurigkeit.

    Nun ja, nach Jahrzehnten mit dem Bulli habe ich mir nun einen etwas komfortableren kleinen Kastenwagen gegönnt, man wird ja nicht jünger. Endlich Standheizung und Stehhöhe. Aber was zählt ist die Zeit am Strand, auf dem Wasser!
    Ich wünsche Dir alles Beste!

  6. „Jung sein…“ „Being Young…“

    Die Jugend kennzeichnet nicht einen Lebensabschnitt,
    sondern eine Geisteshaltung;
    sie ist Ausdruck des Willens,
    der Vorstellungskraft und der Gefühlsintensität.
    Sie bedeutet Sieg des Mutes über die Mutlosigkeit,
    Sieg der Abenteuerlust über den Hang zur Bequemlichkeit.

    Alt sein bedeutet nicht, viele Jahre gelebt zu haben.
    Man wird alt, wenn man seine Ideale aufgibt.
    Die Jahre zeichnen zwar die Haut
    – Ideale aufgeben aber zeichnet die Seele.
    Vorurteile, Zweifel, Befürchtungen
    und Hoffnungslosigkeit sind Feinde,
    die uns nach und nach zur Erde niederdrücken
    und uns vor dem Tod zu Staub werden lassen.

    Jung ist, wer noch staunen und sich begeistern kann.
    Wer noch wie ein unersättliches Kind fragt: Und dann?
    Wer die Ereignisse herausfordert
    und sich freut am Spiel des Lebens.

    Ihr seid so jung wie euer Glaube.
    So alt wie eure Zweifel.
    So jung wie euer Selbstvertrauen.
    So jung wie eure Hoffnung.
    So alt wie eure Niedergeschlagenheit.

    Ihr werdet jung bleiben, solange ihr aufnahmebereit bleibt:
    Empfänglich fürs Schöne, Gute und Große,
    empfänglich für die Botschaften der Natur,
    der Mitmenschen, des Unfasslichen.

    Sollte eines Tages euer Herz
    geätzt werden von Pessimismus,
    zernagt von Zynismus,
    dann möge Gott Erbarmen haben
    mit eurer Seele – der Seele eines Greises.

    Marc Aurel (121-180), römischer Kaiser

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