Alleinreisen

Ein Jahr auf der Reise (2)

Ursprünglich wollte ich den Jakobsweg gehen. Aufgrund körperlicher Bedenken meiner Ärzte wurde daraus nichts, doch am Entschluss zum spirituellen Alleinreisen hielt ich fest. Als Reisepartner wäre ich nach den Erlebnissen meiner jüngsten Vergangenheit sowieso unerträglich gewesen, vor allem aber wollte ich mit mir selbst ins Gespräch gehen und dabei ungestört sein. In Grossbritanien gefiel mir die Einsamkeit und Stille meistens ausgesprochen gut, später dann in Südeuropa allerdings fand ich gerade die Besuche und Begegnungen sehr bereichernd. Ein ganzes Jahr bin ich alleine gereist, ist das genug?

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Zeit für mich selbst zu haben empfand ich immer als Geschenk. Denkt man dabei über ein paar Tage Klosterschweigen oder Bergwanderung hinaus, bekommt dieses Geschenk sogar noch eine Schleife. Gewählte Einsamkeit ist nach Jahren persönlicher Überlastung ein hochwirksames Medikament, das unser Bewusstsein erweitert, doch eine Überdosis davon kann auch Nebenwirkungen bringen. Sehen oder lesen wir über Leute, die jahrelang ohne jede Begleitung durch die Welt reisen, dann sind das in den meisten Fällen wahrscheinlich nur werbewirksame Kunstmenschen, die in Wirklichkeit ein ganzes Marketingteam dabeihaben, oder zeitgenössische Narzisten, die sich in ihrer seltsamen Selfie-Welt zwischen Körperpartien und hipper Freizeitmode bewegen. Echte Lebenskünstler und überzeugte Eremiten gibt es mit Sicherheit auch, mir ist aber außer in Büchern oder Filmen bisher nie einer begegnet.

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Jeder von uns braucht menschliche Nähe, Austausch und Wertschätzung. Das vergessen wir oft, denn Internet und soziale Medien spielen uns vor, in ständiger Gemeinschaft zu sein, obwohl wir statistisch und gesellschaftlich gesehen zunehmend vereinsamen. Tagsüber unterwegs, wenn zuhause alle ihren Pflichten nachgingen und niemand Zeit zum Reden hatte, vermisste ich meine sozialen Kontakte jeden Tag mehr. Schon in den Highlands in Schottland fand ich es manchmal schade, die schönen Erlebnisse und Sichtungen nicht mit jemandem teilen zu können, in Spanien und Portugal vor ein paar Wochen aber fühlte ich mich nahezu darum betrogen. Der Süden und die Menschen, die ich dort traf, haben mich tief bewegt, ich war sehr glücklich dort. Aber einsames Glück ist wie die leere Einwegflasche, die du zurück in die Kiste unten in den Keller stellst, wo kaum einer hingeht, weil die Lampe kaputt ist.

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Ständige Abwesenheit geht auf Dauer auch an Freundschaften nicht spurlos vorbei. Ist man lange weg, dann ist man nämlich lange auch nicht mehr da. Nicht, dass ich als Fremder heimkehre, aber tausende Kilometer und Monate entfernt wird man aus Deutschlands Alltag heraus gesehen irgendwann zu einer verblassenden Erinnerung, denn man ist nicht mehr präsent. Tiefe Freundschaften überleben lange Abwesenheit natürlich, aber ständige Kontaktpflege gehört fest auf den Wochenplan, wenn man das Downgrade auf Bekanntschaft vermeiden will. In meinem Café muss ich heute schon gelegentlich erörtern, wer ich bin oder mal war und warum ich meine Caffé Latte nicht bezahle oder dass ich eigentlich gar nicht Ralf heiße.

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Alleinreisen zeitlich begrenzt wirkt positiv und inspirierend, als dauerhafter Normalzustand gefällt es mir jedoch nicht. Das Empfinden anderer Langzeit-Alleinreisender, die ich unterwegs sprach, deckt sich mit meinem. Im zweiten Jahr möchte ich aus diesem Grund vermehrt Reisepartnerschaften eingehen, vielleicht in lockerer Kolonne mit einem anderen Bulli, mit Beifahrer/in und eigenem Zelt oder sonstwie irgendwo auf der Erde. Ich denke auch über themenbezogene Reisen nach, wo ich am Ziel gemeinsam mit Anderen einer Tätigkeit nachgehe, ob Hilfsprojekt oder Yoga. Auf jeden Fall aber will ich mehr Zeit mit Familie und Freunden verbringen, das ständige Getrenntsein tat mir am Ende fast schon körperlich weh. Langes Alleinreisen ist eine Erfahrung aus Gewinn und Verlust, Glück und Traurigkeit, eine Supervision mit dir selbst, vor allem aber schenkt es dir das Wissen, dass es zuhause am schönsten ist und wie wichtig dir die Menschen um dich herum sind.

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Ich muss viel allein sein. Was ich geleistet habe, ist nur ein Erfolg des Alleinseins.
(Franz Kafka)

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Ein Jahr auf der Reise

17 Gedanken zu „Ein Jahr auf der Reise (2)

  1. kann dir gut nachfühlen……… alles Wünschenswerte dir….. als Reisebegleiterin versteckt, war ich ja streckenweise neben dir

  2. Viele Langzeit-Alleinreisende haben sich ein Netzwerk aufgebaut. Sie sind im Sommer mit Freunden in Deutschland unterwegs, im Winter mit Freunden in Portugal. Haben an den Orten, die sich im Laufe der Jahre als Lieblingsorte herauskristallisiert haben Freunde, Bekannte und Familie als Anlaufstelle. Viele Freundschaften gehen verloren, da hilft auch keine wöchentliche Kontaktpflege – die Lebensweisen und Alltagsthemen sind einfach zu unterschiedlich.

    Einige lernen unterwegs einen „Reisebegleiter für’s Leben kennen“. Ich war neun Monate alleine unterwegs, ehe ich meinen jetzigen Freund kennen gelernt habe. Die Reise alleine war schön, zu zweit ist es schöner.

  3. So fühle ich es auch.
    Zunächst verstärkt und bündelt das AlleinSein, die Stille das Erlebte.
    Doch irgendwann wird es weniger schön und berührend wenn es nicht geteilt werden kann.
    Die Reise geht vom ersten Chakra der Selbstgenügsamkeit und zum Zweiten, wo ein Gegenüber zur vollen Entfaltung gut tut.
    Ich wünsche Dir spannende Reisen in Gesellschaft!

  4. Interessant das alle die es erlebt haben das gleiche fühlen. …..mich eingeschlossen
    Viel allein gereist und auch sehr schöne Erfahrungen und Erlebnisse gehabt, aber irgendwann kommt der Punkt wo das allein sein auch zur Belastung werden kann.
    Daher wünsch ich dir alles gute für 2018 und das deine Vorhaben in Erfüllung gehen.
    Freue mich weiter über deine Berichte, die ich schon länger aufmerksam verfolge.
    Liebe Grüsse

    Jürgen

  5. Hallo Rolf.
    Ein wunderbarer und sehr berührender Text. Du hast diesmal ganz besonders passende Worte gefunden.
    Wie du weißt, bin ich nicht allein gereist; habe jedoch längere Zeit allein gelebt. Und auch da spürt man, dass Mann / Frau ein ‚Korrektiv‘ oder auch ‚Spiegel‘ benötigt um sich fühlen, spüren und entwickeln zu können.
    Ich wünsche Dir und deiner kleinen Family alles erdenklich Gute für das Neue Jahr . Herzlichst Susanne

  6. Lieber Rolf, begleitet hab ich dich im Stillen die ganze Zeit. Du schreibst aus dem Herzen heraus u das verbindet irgendwie. Als ich deinem Blog begegnete, dachte ich, was hat er für ein Glück sich das leisten zu können. Mit einem Bulli durch die Welt, (m)ein Traum, fahrend mit dem Geschenk derZeit, finanzielle Unbekümmertheit, auf dem Weg zu sich selbst. Ich las all deine Worte, hier sitzend in meiner Alltagswelt und stellte fest, das Wo und Wie ist egal. Die Nähe, die Intensität, die Begegnung, Gefühle von Glück und auch der Schmerz, darauf kommt es an, die Fragen zulassen, Antworten finden oder auch nicht, weiter suchen, stehen bleiben, staunen…….. ich möchte an so vielen Stellen „genau“ rufen, „kenn ich“ , auch ich wollte eigentlich den Jacobsweg gehen…….
    Es ist schön, das du schreibst, wie du schreibst. Ich werde weiter „mit dir reisen“ und wer weiß es schon, vll trinken wir irgendwann mal einen Kaffee in deinem Café in der Stadt. Eine gute Zeit u 2018 immer Rückenwind

    1. Liebe Nicole, hab vielen Dank für dein wunderbares Feedback. Ich stimme dir zu: es ist egal, wo man ist, was man macht oder wie man lebt. Die schönste Reise ist in uns, wir müssen uns einfach nur dahin aufmachen.

  7. Lieber Rolf, danke dir für deinen wunderbaren Beitrag. Ich wünsche dir ein gesundes und zufriedenes neues Jahr. Liebe Grüße von Angelika

  8. Danke, ein schöner Bericht…
    Ich kenne Alleinsein unter Menschen bestens, und auch das allein Alleinsein und erkenne mich in vielen Sätzen wieder. So hat das Fremdsein unter (alten) Bekannten mich das eine oder andere Mal verletzt. Schlussendlich merkte ich jedoch, dass es weder räumliche noch zeitliche Distanz ist, die das Gefühl von ‚fremd‘ oder ‚allein‘ ausmacht, sondern meine eigene Reife, die der Bekannten und die tiefe der Beziehungen. Unter reifen Menschen (nicht altersabhängig!) mit tiefen Beziehungen kann man sich Jahre nicht sehen und wenn man dann Kontakt hat, ist alles wie vor Jahren.
    Ich wünsche Dir in Zukunft solche tiefen Beziehungen mit reifen Mitmenschen und viel Freude in DEINEM Leben, wie und wo auch immer.

  9. Mal wieder Klasse geschrieben. Beim lesen deine Berichte war ich oft Virtuell mit dir unterwegs, es war ein interaktives Reiseerlebnis. Es war Spannend, bewegend, humorvoll….Interessant!
    Danke dafür!

    Für das neue Jahr 2018 wünsche ich dir von Herzen nur das Beste, Gesundheit und viele schöne Erlebnisse & Begegnungen.

  10. Schön geschrieben. Ich bin seit vielen Jahren immer mal wieder allein auf Reisen. Wirklich allein war ich nie. Den Kontakt zu Freunden habe ich gehalten, wann immer es ging. Familie habe ich keine mehr. Unterwegs habe ich viele tolle Menschen kennengelernt und eine Zeit des intensiven Austauschs folgte. Auch ein Eremit in Frankreich war dabei. Am Ende jeder Reise wäre ich am liebsten sofort wieder los gefahren. In diesem Sinn wünsche ich Dir weiterhin eine gute Reise.

  11. „Es wurde anfänglich sein Traum & Glück dann sein bitteres Schicksal.“
    Hermann Hesse im Steppenwolf über Einsamkeit

  12. Liebe ist das einzige, was größer wird, wenn man es teilt.

    Ähnlich verhält es sich mit Gemeinsamkeit. Geteilte Freude ist mehr als doppelt so groß und geteiltes Leid ist doppelt so leicht zu ertragen.

    In Teil 3 von „Ein Jahr auf Reise“ schreibst Du so schön, dass ein analoges Feedback so viel mehr wert ist als ein digitales „Like“.
    Wie wahr, wie war. Ich wünsche Dir zwischen Deinem Alleinsein immer auch inspirierende Begegnungen mit Menschen.

  13. Ich empfinde das ähnlich. Ich verbringe sehr gerne Zeit mit mir, fahre seit letztem Jahr viel alleine mit dem Wohnmobil durch Ddie Gegend, aber mir fehlt eben manchmal auch ein soziales Reisenetz, sozusagen.
    Für mich habe ich festgestellt, meiner Einsamkeit muss ich mich stellen, immer wieder. Sie ist auf der einen Seite selbst gewählt und auf der anderen Seite unumgänglich.
    Viele Grüße,
    Anna

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